Ingeborg Volkmer
Die rote Frau

Wissen Sie Herr Kommissar,  ich wollte eigentlich nur spazieren gehen. Das mache ich jeden Abend um diese Zeit. Und  dann dass, seit fast 30 Jahren gehe ich die gleiche Strecke, aber so was ist mir noch nie passiert. Ich habe dann auch sofort angerufen. Ich habe nämlich ein Handy. Das hat mir mein Enkel gekauft. Er sagt immer, Opa wenn du immer so alleine an der Donau entlang spazieren gehst, dann musst du ein Handy dabeihaben, man weis ja nie was alles kommt.
Kommissar   Fliege von der Günzburger Polizeiinspektion schaute etwas genervt.  Der Notruf von Herrn Haberzettel kam vor ungefähr 15 Minuten an. Die Besatzung des Streifenwagens die darauf hin zur Donau fuhr hat dann umgehend den Chef an den Tatort beordert. Dort war allerdings nur Herr Haberzettel anzutreffen.  
Denn der wollte nur mit dem Kommissar sprechen, im Fernsehen ist das auch immer so.
Mittlerweile hatte dieser alles mögliche erfahren nur nicht das, was eigentlich passiert ist. Er versuchte verzweifelt den Redefluss von Herrn Haberzettel zu stoppen. Behutsam legte er den Arm um ihn.
Jetzt beruhigen Sie sich erstmal und erzählen sie mir ganz langsam, was sie gesehen haben.
Also das war so, ich stehe oft hier an der Stelle wo die Günz  und die Nau in die Donau münden. Das ist mein Lieblingsplatz. Und dann habe ich sie gesehen, ganz deutlich, ich bin mir ganz sicher. Es war eine Frau. Sie hatte lange rote Haare und ein rotes Kleid an. Sie ist ganz langsam die Günz herunter geschwommen  und dann weiter die Donau hinunter. Zuerst habe ich mir nichts dabei gedacht. Die jungen Leute heutzutage machen ja dauernd so Sachen die es zu unserer Zeit noch nicht gegeben hat. Aber dann ist es mir doch etwas komisch vorgekommen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass jemand so lange mit dem Gesicht nach unten schwimmen kann.
Also gut Herr Haberzettel, Kommissar Fliege wollte endlich auf den Punkt kommen.  Sie haben also eine Frau gesehen die mit dem Gesicht  nach unten geschwommen ist. Konnten sie sonst noch etwas erkennen? Hat sie sich bewegt, ich meine, ist sie richtig geschwommen?
Sie lag ganz ruhig im Wasser. Ich bin noch ein Stück mitgelaufen, sie war ja nicht allzu schnell. Und plötzlich ist sie mit so einem komischen Geräusch untergegangen. Ich habe dann gleich bei Ihnen angerufen. Und gesehen habe ich auch nichts mehr. Herr Haberzettel wurde vor  lauter Aufregung ganz rot im Gesicht.
Der Kommissar versuchte immer noch ihn zu beruhigen
Danke Herr Haberzettel, das haben Sie sehr gut beobachtet. Sie gehen jetzt mit meinem Kollegen zur Inspektion und geben alles zu Protokoll.
Nun war der Kommissar allein mit der Polizeianwärterin Ulrike Schöne.
Also Frau Schöne, so wie es aussieht haben wir es mit einer toten Frau zu tun. Das bedeutet Wasserwacht, THW, Feuerwehr, Rettungsdienst, Notarzt. Alle verfügbaren Leute gehen das Ufer ab und befragen jeden Radler, Jogger und Spaziergänger der vorbeikommt. Die Staustufe in Offingen verständigen. Spätestens dort wird unsere geheimnisvolle „Rote Frau“ ja auftauchen.  Auf der Inspektion müssen  alle Vermisstenmeldungen  geprüft werden. Und die Anwohner entlang der Günz nicht vergessen, vor allem in Wasserburg und auf dem Grieß, da grenzen die Grundstücke ja teilweise direkt an die Günz. Irgendjemand muss doch noch was gesehen haben. Bei so einem schönen Wetter sind die Leute in ihren Gärten und grillen.
Die Polizistin lief zurück zum Auto um alles zu veranlassen.
Der Kommissar aber blieb an der Donau. Ihm war nicht wohl in seiner Haut und er hatte Herzklopfen. Nein sagte er sich selber, das kann nicht sein, das darf nicht sein.
Herr Kommissar, Ulrike Schöne kam ganz außer Atem angelaufen. Eben kam ein Anruf von der Dienststelle. Bei der Donaubrücke in Reisensburg wurde ein Stück roter  Stoff  gefunden.
Kommissar Fliege schreckte aus seinen Gedanken auf. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Aha,  unsere unbekannte „Rote Frau“ ist wieder aufgetaucht.  Er war sich sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die Frau gefunden wurde und doch hatte er Angst davor.
An der Brücke war schon alles abgesperrt. Das THW und die Wasserwacht ließen gerade die Boote zu Wasser. Mehrere Schaulustige hatten sich eingefunden und die Günzburger Zeitung war auch schon da. Die Boote fuhren bis zur Mitte der Donau und dann gingen die Taucher ins Wasser. Die Anspannung war fast greifbar. Es war gespenstisch ruhig, jeder wartete darauf, dass die Taucher wieder hoch kamen.
Plötzlich waren sie wieder an der Oberfläche und meldeten: unbekannte Person gesichtet. Die Strömung hat sie unter Wasser gegen  den mittleren Stützpfeiler gedrückt. Wir haben Probleme an Sie ran zu kommen, die Strömung dort unten ist ziemlich stark.
Mit vereinten Kräften konnte sie dann aber doch noch vor Einbruch der Dunkelheit geborgen werden. Langsam fuhren die Boote zurück an das Ufer.
Die Spannung der wie elektrisiert wartenden Umstehenden wuchs mit jeder Sekunde. Wer war die unbekannte Tote?  Eine Frau aus Günzburg? War es ein Unfall, Mord oder Selbstmord? Kommissar Fliege konnte die Anspannung fast nicht mehr ertragen.
Was ist los mit Ihnen. Der Notarzt stand plötzlich neben Ihm. Sie sind so blass, geht es Ihnen nicht gut? Das ist doch bestimmt nicht Ihre erste Leiche.
Kommissar Fliege war einer Ohnmacht nahe, er hatte nur noch einen Gedanken
Die Freundin seiner Frau hat lange rote Haare und sie trägt auch oft rote Kleider.
Die Frau lag mit dem Gesicht nach unten im Boot. Der Kommissar musste sich zwingen sie anzusehen. Sie hatte eine etwas seltsame glatte Haut und irgendetwas stimmte nicht mit ihr.
Die Taucher trugen sie aus dem Boot, drehten sie um und gingen auf die Seite.  Es war ganz still, niemand sagte etwas, alle Augen waren auf den Kommissar gerichtet.
Dieser schaute auf die Frau, ihm wurde schwindlig, er konnte nicht glauben was er sah.  
Vor ihm lag eine Schaufensterpuppe. 
 
 
Ingeborg Volkmer 
Günzburg